Nach der Lautzentalglashütte kamen Schneiderwerke und GEMA

Die Schneiderwerke: Munitionskisten und Gasflaschen

Am 18. Juli 1939 bemühen sich die Schneiderwerke in einem Schreiben an die Stadt St. Ingbert um den Erwerb von Fabrikationsgelände. Bürgermeister Dr. Norbert Schier bietet dem Unternehmen schriftlich am 25. Juli 1939 die Übernahme der Schichtholzwerke (an denen die Stadt beteiligt ist) auf dem ehemaligen Areal der Lautzentalglashütte an. Die Stadt hatte 1937 das Gelände (insgesamt 5 Hektar) mit allen Gebäuden für 145.000 Reichsmark erworben. – Ein Schnäppchen, wenn man bedenkt, dass allein der Bau eines dreistöckigen Betongebäudes, das 1931 dort neu errichtet worden war, schon soviel gekostet hatte. Weiterhin erwähnt der Bürgermeister die Anzahl aus­ge­bauter Fabrikhallen in bestem Zustand und den vorhandenen Bahnanschluss. „Ich glaube, dass sich das Gesamtanwesen für Ihre Zwecke ohne besondere bauliche Veränderungen verwenden lässt,“ schließt er den Brief mit dem Gruß „Heil Hitler“.                                                         (Quelle: St. Ingberter Stadtarchiv)          

 

Man schrieb das Jahr 1941, als das Gelände der Lautzentalglashütte schließlich in den Besitz der Schneiderwerke überging, die seit 1938 in St. Ingbert, in der Saarbrücker Straße ansässig waren. 248 Arbeiter und 43 Angestellte waren 1941 bei den Schneider-Werken beschäftigt.

Während des Zweiten Weltkrieges wurden in den Werkshallen der ehemaligen Lautzentalglashütte Kisten für Infanteriemunition hergestellt. Auch ein Kriegs­ge­fangenenlager befand sich dort. Zuerst waren hier französische Kriegs­ge­fan­gene untergebracht, die bei Ausschachtungsarbeiten zu einem Teilstück der vor-

gesehenen Autobahnstrecke zwischen St. Ingbert und Rohrbach Zwangs­arbeit leisten mussten. Die Stadt soll die Gefangenen auch an St. Ing­berter Betriebe „vermietet“ haben. Den französischen Zwangsarbeitern folgten rus­sische (ca. 90). – Ein  unrühmliches Kapitel St. Ingberter Geschichte, das noch im­mer totgeschwiegen wird, und über das sich keine Unterlagen in den Archi­ven finden. (Derartige Dokumente gelten als „verbrannt“). Unsere Infor­ma­tio­nen beruhen auf mehreren, gleichlautenden Zeitzeugenberichten.

1950: Die Schweißerinnen der Schneiderwerke in der Pause. Hintere Reihe, links: Maria Pergande (den Lesern von ingoBerta als „Tante Mia“ bestens bekannt).

  (foto: ingoBerta-Archiv)

1950: Maria Pergande präsentiert sich in jungen Jahren stolz im Sonntagsstaat vor der rückwärtigen Fassade ihres Arbeitsplatzes, den Schneiderwerken.

(foto: ingoBerta-Archiv)

Die offizielle deutsche Geschichtsschreibung – auch die der Schneiderwerke beginnt erst wieder 1948 mit der Produktion von Butan- und Pro­pan­gas­fla­schen sowie von Stahlradiatoren. Zu ihrem „zwanzigjährigen“!! Bestehen 1968 gibt die Firmenführung, zusammen mit Weihnachtsgrüßen stolz bekannt, dass 1948 die ersten 864 Gasflaschen von damals noch reichlich unvollkommenen Fließ­bändern liefen, und man dann 1958 bereits die 3millionste pro­du­zierte Gas­flasche feiern konnte.

1950: „Lea aus Ommersheim“ steht auf diesem Foto.   

              (foto: ingoBerta-Archiv)

Bis Oktober 1968 wurden 7,5 Millionen Pro­pan- und Butangasflaschen in St. Ingbert her­ge­stellt. Vor dem Einsatz mo­der­ner Fer­ti­gungs­straßen ar­bei­te­ten vor allem in den 1950er Jahren viele Frauen aus dem nahen Um­kreis als Schweißer-

innen bei den Schneiderwerken

Das Jahr 1970 brachte das Aus für die Schneiderwerke. Ab Mitte der 1970er befand sich für einige Jahre eine Offset-Druckerei in dem geschichtsträchtigen Ge­bäude.

Ausbildung wurde großgeschrieben

bei der GEMA Maschinen- + Apparatebau GmbH

 

Nach dem Krieg siedelte sich auf dem Gelände der ehemaligen Lautzen­tal­glas­hütte neben den Schneiderwerken auch die Gema (Gesellschaft für Maschinen- und Apparate­bau GmbH) an und begann dort 1946 mit der Produktion. Sie stellte Gewinde­rollen aus speziellem, gehärteten Stahl zur Schrauben­pro­duk­tion her und hatte hierauf ein Patent, das echt Geld einbrachte. Die Gema fertigte Dreh­maschinen, Offset-Druckereimaschinen, Schwerlastgetriebe und andere Maschinen. Das Aushängeschild der Gema aber waren die von ihr produzierten Drehbänke.

In den 60er Jahren: Blick in die Lehrwerkstatt der Gema.    (foto: privat)

 

Die Lehrwerkstatt der Gema hatte einen guten Ruf. Rechts prüft Ausbilder Otto Menninger einen  gefeilten Winkel auf die Genauigkeit.     (foto: privat)

Bei der Gema haben viele junge Menschen aus St. Ingbert und Umgebung einen Handwerksberuf erlernt. Das Unternehmen galt bei uns als einer der hervor-

ragensten Ausbildungsbetriebe. In den 1960er Jahren befanden sich dort bis zu 70 Lehrlinge in der Ausbildung. Sie erlernten die Berufe Dreher, Fräser, Werkzeugmacher, Mechaniker, Ma­schinen­schlos­ser, Elektriker sowie den des Kaufmannes.

Mechanikermeister Heinz Detemple (Bildmitte) leitete viele Jahre lang die Lehrwerkstatt der Gema.     (foto: privat)

In den 70er Jahren beschäftigte die Gema durchschnittlich 50 Lehrlinge im me­chanischen Bereich. Ausgebildet von Meistern ihres Faches in be­triebs­eigener Lehrwerkstatt, reiften die Gema-Lehrlinge zu qualifizierten Fachkräften heran, die gern von anderen Unternehmen der Branche eingestellt wurden – sofern sie den Betrieb nach der Lehre verließen, denn die Firmenleitung bot ihnen nach erfolgreichem Abschluss der Lehre die Übernahme an. Zeitweise waren bei der Gema bis zu 600 Arbeiter und Angestellte beschäftigt.

 

Anfang der 70er Jahre, als ihr Nachbar, die Schneiderwerke, den Betrieb dort einstellte, übernahm die Gema deren Gelände und auch die Immobilien.

Als schließlich der Absatz der Drehmaschinen lahmte und mehr und mehr zurückging, stellte die Gema im Dezember 1981 die Eigenproduktion unter der Firmierung „Gema Maschinen und Apparatebau GmbH“ ein – aufgelöst von der Saarberg AG, deren direkte Tochtergesellschaft sie mittlerweile war. Schon im Vorfeld hatte FETTE, eine Saarbergtochter, unter Leitung von Direktor Hans Hager, an der Umorganisation mitgewirkt. Fette verlegte einen Teil ihrer Pro­duk­tion von Fräswerkzeugen (Rohlinge) nach St. Ingbert. Die lukrative Ge­winde­rollenfertigung nach Gema-Patent gelangte zum Werkzeughersteller DOWIDAT (Saarberg).

Von 1946 bis 1981 befand sich auf dem Gelände der ehemaligen Lautzentalglashütte unter anderen Firmen auch die Gema.     (foto: wiese)

Danach gaben sich Firmen wie Haaf, Zehe & Armster und einige mehr auf dem Areal der alten Lautzentalglashütte Stelldicheins. Seit Februar 2004 hat sich die Neumann Präzisionstechnik GmbH auf dem historischen Gelände etabliert – sie bearbeitet Präzisionsteile für die Automobilindustrie.

 

ingoBerta dankt den ehemaligen Mitarbeitern der Gema, die uns bei der Re­cher­che zu diesem Artikel so hilfreich mit In­for­ma­tionen und Fotos unterstützt haben.

Text: Norbert + Ulla Wiese

Publiziert in "ingoBerta, St. Ingberter Blätter",

  Ausgabe 40, Frühling 2009.

 

Nach díesem abschließenden Artikel über die Lautzentalglashütte und was in der Folge sich auf dem Gelände getan hat, macht "ingoBerta" eine Sommerpause. Danach geht es mit St. Ingberter Geschichte(n) für die Heimatfreunde Oberwürzbach weiter. "ingoBerta" dankt den Heimatfreunden für die Veröffentlichungen und den Lesern für das Interesse.
 
Einen schönen Sommer, bleiben Sie gesund.
Ihre "ingoBerta!"