29.01.2021

Vor 60 Jahren: "Bomben auf Oberwürzbach am 16.7.1944“  Kriegserlebnisse eines elfjährigen Lausbuben

 

Bei den Schindtaler Felsen gibt es einen Stein, in den jemand mit ungeübter Hand, aber in akkuraten Buchstaben „Bomben auf Oberwürzbach am 16.7.1944“ eingemeißelt hat.

Machen wir einen Zeitsprung: Es ist Hochsommer. Im Gras zirpen die Grillen. Lausbuben strolchen durch ihr Revier am Köpfchen, Rech, Schindtal und Steckental. Wenn die Buben, um Arthur Cottilion, „de lang Friedel“, de Albert Usner, die Brüder Heinrich und Michael Wahrheit, de Becker Rudel und Alfons Wirtz in die Nähe der Hohl kommen, dann werden Kämpfe mit Schleudern, Pfeil und Bogen oder den Fäusten gegen die Unnerdörfer ausgetragen.  Deren Revier beginnt dort. Im Dorf gibt es immer was Interessantes für die Buben... auch in der Kriegszeit, die in Oberwürzbach bereits 1938 mit dem Bau des Westwalles ihre Schatten vorauswarf.

Alfons Wirtz

Damals, im Juli 1938 kamen um die 2000 fremde Menschen zum Bau des Westwalls in den kleinen Ort. Sie waren in den Tanz- und Schulsälen und bei Oberwürzbacher Familien einquartiert worden. „Der Bunkerbau wurde professionell von der Firma Deubau betrieben“, erinnert sich Alfons Wirtz. Gleichzeitig wurden Lagerbaracken errichtetet, wie beispielsweise im Laichweihertal und vor den Schindtaler Felsen, wo eigens dazu ein Plateau aufgeschüttet worden war.

Nach Fertigstellung des Westwalles um Oberwürzbach liegt das Dörfchen mitten zwischen zwei Bunkerlinien. Die eine ist oben gegen Heckendalheim an der Römerstraße, die andere drunten im Würzbachtal. Allein zwischen Reichenbrunn und Rittersmühle werden 29 Bunker gebaut. Vom 18. Juni bis 21. Juli 1939 beziehen auch Soldaten Stellung in Oberwürzbach. Sie sind mit Pferdewagen, von der Bevölkerung bestaunt, eingezogen.

Viele Oberwürzbacher waren während des Zweiten Weltkrieges in Schauenstein in Oberfranken evakuiert. Bis heute besteht in Rahmen einer Städtepartnerschaft eine Verbindung zwischen den Orten.

                                                            Quelle: Stadtarchiv St. Ingbert

Zweimal, 1939 und 1944, werden die Einwohner evakuiert. Doch gegen Ende des Krieges 1944/45, als das Dörfchen stark unter Kriegseinwirkungen leidet,  sind viele Einwohner wieder zurück. Das Leben ist geprägt von Granatenbeschuss und Fliegeralarm. Dann rennt alles in Bunker und Stollen. Es gibt damals mehrere private Stollen – am Fuhrweg, im Rädchen (Nähe Pfarrhaus) und der Stollen der Familie Pfeifer in der Talstraße.

Zuflucht sucht man auch in den Höhlen des Eichertsfels und in den Schindtaler Felsen. „Die Baracke, die 1938 vor den Schindtaler Felsen errichtet wurde, stand da allerdings nicht mehr“ erinnert sich Alfons Wirtz und erzählt weiter: „Es gab auch einen Stollen in der Hauptstraße Nr. 169. Er diente am Kriegsanfang zur Lagerung von Sprengstoff. Erst später wurde der Stollen von Bergleuten weiter in den Sandstein hineingetrieben. „Er bestand aus einem breiteren und einem schmalen Gang, die am hinteren Ende durch einen Quergang verbunden wurden. Dort waren fest verankerte Etagengestelle für Pritschen eingebaut, in denen die Schutzsuchenden während des Beschusses von Oberwürzbach in Schichten umeinander geschlafen haben.

Die Bewohner des Schindtales flüchten bei Alarm in den Schindtaler Felsen.  Der hohe Buchenwald vor den Höhlen wirkte wie eine riesige Halle, die getragen war von dicken (Baum)Stempeln, zwischen denen hindurch man den Blick weit nach Oberwürzbach schweifen lassen konnte. Von oben gut „getarnt“ durch die riesigen Baumkronen, waren die Schindtaler Höhlen nicht einzusehen und lagen zudem noch außerhalb des Einschusswinkels der feindlichen Geschütze vom Staffel her. Die dicken Baumstämme davor waren nach dem Krieg so zerschossen und voller Granatsplitter, dass der ganze Wald gefällt werden musste. Noch bis heute drücken sich die Waldarbeiter im Oberwürzbacher Wald davor, bei Fällarbeiten ihre Kettensägen einzusetzen, um sie nicht zu ruinieren.

„Man muss sich vorstellen, dass sich überall im ganzen Wald um Oberwürzbach in Stellungen und Bunkern und den vielen Laufgräben, die heute noch zu sehen sind, Soldaten aufhielten. Im Schindtal beim Schmitt Friedel und beim „Arthur“ waren Stellungen für Granatwerfer im Garten, denn die Amerikaner kamen von der Staffelstraße her. In der Endphase 1944 und im Frühjahr 1945 flogen ständig Aufklärungsflugzeuge über Oberwürzbach. Bei Bombenalarm rannte man in den nächst besten Stollen oder Bunker. Für uns waren das natürlich die Schindtaler Felsen“, erzählt Alfons Wirtz.

1939: Alfons Wirtz (Mitte  6 J.) mit seinen Zwillingsgeschwistern

Alois und Antonia  (4. J.)                                 ( foto: privat)

Dennoch, es ist eine Kinderzeit, in der gelärmt und gelacht wird, in der man sich freut, wenn  etwas Nahrhaftes auf den Tisch kommt. „Bereits am frühen Morgen zog der Geruch von gekochten Kartoffeln durch unser Haus. Die Soldaten, die damals bei uns einquartiert waren, hatten sie in einem großen Topf auf unserem Küchenherd, den sie in die Waschküche verfrachtet hatten, gekocht und auch schon die Kuh gemolken“, sagt Alfons Wirtz.

Die Eltern von Alfons Wirtz, Jakob und Emma Wirtz, (geb Sommer) blieben, obwohl sechs Kinder um den Familientisch saßen, nicht von der Einquartierung verschont. „Wir waren vier Kinder, irgendwann 1944 bekamen wir noch zwei Geschwister dazu. Es waren Engelbert und Maria Becker. Ihr Vater war im Feld geblieben und die Mutter verstorben. Meine Mutter hat die Kinder zu sich genommen und wir hatten plötzlich zwei Geschwister mehr.  So einfach war das damals“, stellt Alfons Wirtz fest.

Im Waldgebiet um Reichenbrunn und Oberwürzbach findet man noch heute zahlreiche Überreste gesprengter Westwallbunker.                (foto: wiese)

Die Soldaten bereiteten sich ab Herbst 1944 hier am Westwall auf den Angriff der Alliierten vor. Sie errichteten Stellungen zwischen den einzelnen Häusern, in denen sie Feldküchen unterhielten, und stützten die Keller mit Bohlen und Stempeln ab. Das war zu der Zeit als das Dorf in die Reichweite der amerikanischen Artillerie geriet. Jetzt lag Oberwürzbach unter ständigem Beschuss von Granaten, auch Brandbomben fielen. 28 Häuser, darunter das Bürgermeisteramt und der Kirchturm wurden getroffen. Die Oberwürzbacher versuchten die Brände mit Sand zu löschen, da die Wasserleitung zerstört war. Auch ins Schindtal, ins Elternhaus von Alfons Wirtz ging ein Treffer. Im Giebel steckte eine Granate, die zum Glück nur ein metergroßes Loch gerissen hatte.

Am 2. September 1944 begannen die Schanzarbeiten um Oberwürzbach, mit denen man den Einmarsch der Allierten verhindern wollte. Die letzten acht Kriegstage verbrachten die Menschen ständig in den Bunkern und Stollen. Morgens von 8 bis 9 Uhr war eine Stunde Feuerpause. Dann rannte alles aus den Kellern, Bunkern und Stollen, um beim Bäcker Scherer, wo auch zeitweise die Waffenmeisterei untergebracht war, Brot zu kaufen.

 

Sechs Oberwürzbacher Zivilpersonen kamen bei den Angriffen ums Leben.

Alfons Wirtz erinnert sich daran, dass gegen Ende des Krieges am Abend bei beginnender Dunkelheit oft die Ukrainer, die auf der Schmelz und in anderen Rüstungsbetrieben Zwangsarbeit leisten mussten, durch den Wald am Staffelhang nach Oberwürzbach herunter kamen. Sie baten in den Häusern um Essbares, das sie gegen selbstgefertigte Schnitzereien und brauchbare Haushaltsgegenstände eintauschten. Bei Alfons Wirtz in der Küchenschublade gibt es heute noch drei einwandfrei schneidende, von den Ukrainern aus Metall-Abfällen handgefertigte Messer.

 

Am Morgen des 20. März 1945 marschierten schließlich die Amerikaner in Oberwürzbach ein.

 

 

16. Juli 1944 – 500 Bomben fallen

 

Am 16. Juli 1944, morgens um 8 Uhr ist Vollalarm. Feindliche Bombergeschwader überfliegen bei bedecktem Himmel Oberwürzbach.

Sie kommen in immer stärkeren Wellen und fliegen Richtung Osten.

Zwei Stunden später kehren sie zurück. Ob sie den Munitionszug, der in der Schneise zwischen Rohrbach und Hassel versteckt auf den Gleisen steht suchen, oder die Schmelz angreifen wollen, lässt sich nicht sagen. Fakt ist jedoch, dass sie in wenigen Minuten mehr als 500 schwere Bomben über dem südlichen St. Ingbert abwerfen. Insgeamt 13 Menschen finden den Tod, davon sieben im Wald beim Himbeerpflücken. Die Bomben fallen bis zum Hochscheid und nach Oberwürzbach.

Die Bewohner des Schindtales in Oberwürzbach flüchteten vor dem Bombenhagel am 14. Juli 1944 in die Schindtaler Höhlen.

Alfons Wirtz war damals ein 11jähriger Lausbub. Er verarbeitete das Erlebnis, indem er das Datum des Angriffs in den Felsen einmeißelte.

                                                                                            (foto: wiese)

Während dieses Angriffes sind alle Oberwürzbacher in die Unterstände  und Stollen gerannt. Der elfjährige Alfons Wirtz sitzt mit seiner Mutter und den Geschwistern in den Schindtaler Felsen. Als es etwas ruhiger wird, rennt er schnell nach Hause. Warum... daran erinnert er sich heute nicht mehr. Doch ganz genau erinnert er sich daran, dass er gerade die Kellertür aufschließen wollte, als ihn eine Druckwelle zu Boden wirft. In Panik rennt er aus dem Haus hinaus ins Schindtal. Eine gewaltige Staubwolke steht über dem Dorf. Der Giebel von Fritz Hauck’s Haus in der Hauptstraße 128 steht nicht mehr. Das teils noch vorhandene Mobiliar steht frei in der Luft. Der Junge hört hinter sich die angstvollen Schreie der Frauen aus den Schindtaler Felsen. Sie rufen ihm zu, schnell wieder zurückzukommen.

Nicht mehr ganz deutlich zu erkennen ist, was Alfons Wirtz als 11jähriger Bub in die Schindtaler Felsen gemeißelt hat:

„Bomben auf Oberwürzbach am 16.7.1944 Alfons Wirtz“             (foto: wiese)

Dieses Schreckenserlebnis hat den Oberwürzbacher Bub Alfons Wirtz so nachhaltig beeindruckt, dass er es Tage später in den Sandstein meißelte. Noch heute kann, wer die Mühe auf sich nimmt und den steilen Hang zu den Höhlen hochsteigt, erkennen, was der damals Elfjährige in die Schindtaler Felsen geschrieben hat:

„Bomben auf Oberwürzbach am 16.7.1944 Alfons Wirtz“             

 

Text: Norbert + Ulla Wiese in "ingoBerta, St. Ingberter Blätter",

Ausgabe 21, Sommer 2004. (fotos: wiese)        © wiese

 

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